Predigten
In der Kirche Zum Heilsbronnen, Heilbronner Str. 20, 10779 Berlin
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10. April 2022, 6. Sonntag der Passionszeit - Palmsonntag
Predigttext Johannes 17,1-8
Jesus hob seine Augen auf zum Himmel und sprach:
Vater, die Stunde ist gekommen:
Verherrliche deinen Sohn,
auf dass der Sohn dich verherrliche;
so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen,
auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast:
das ewige Leben.
Das ist aber das ewige Leben,
dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist,
und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Ich habe dich verherrlicht auf Erden
und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast,
damit ich es tue.
Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir
mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte,
ehe die Welt war.
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart,
die du mir aus der Welt gegeben hast.
Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben,
und sie haben dein Wort bewahrt.
Nun wissen sie,
dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
Denn die Worte, die du mir gegeben hast,
habe ich ihnen gegeben,
und sie haben sie angenommen
und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin,
und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Predigt
Liebe Gemeinde,
unser Predigttext umfasst Worte Jesu aus seinem Abschiedsgebet. Davon lauten die ersten Worte: "Vater, die Stunde ist gekommen." Damit meint Jesus die Stunde seines Abschieds aus dieser Welt, die Stunde seines Todes. Und worum bittet Jesus seinen himmlischen Vater? Er bittet ihn: "Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verrherrliche."
Was aber geschieht nach diesem Gebet? Unter Mitwirkung eines seiner Jünger, des Judas, wird Jesus gefangengenommen, und Petrus verleugnet ihn. Vor dem Hohenpriester Kaiphas und dem römischen Statthalter Pilatus muss sich Jesus verantworten. Er wird verspottet, ihm wird eine Krone aus Dornen aufgesetzt. Schließlich wird Jesus zum Tode durch Kreuzigung verurteilt.
Nach unserem Verständnis ereignet sich mit diesem Geschehen alles andere als Verherrlichung. Viel eher Verdammung. Denn zu einer Verherrlichung gehören für uns Lobreden, Ehrenbekundungen, die Würdigung der Person. Das empfinden wir als feierlich und schön.
Doch im Johannesevangelium sind mit Verherrlichung Jesu sein Leidensweg und sein Tod am Kreuz gemeint. Jesus geht es nicht darum, seinem Leiden und dem Tod am Kreuz zu entfliehen. Für uns ist das ganz schwer zu verstehen. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahrzehnten einmal in der Veranstaltung einer wohl aus dem amerikanischen Sprachbereich kommenden kirchlichen Sekte gewesen bin. Von dem Veranstaltungsleiter habe ich deutlich in Erinnerung, dass er in Bezug auf das Kreuz Jesu sagte: "It was a mistake." "Es war ein Fehler." Mit diesem Unverständnis ist der Mann nicht allein. Denn wir wissen, dass selbst Jesu Jünger größte Verstehensprobleme mit seinem Leidensweg hatten. Als er den Jüngern seinen Tod ankündigt, heißt es im Markusevangelium: "Und Petrus nahm ihn [Jesus] beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er [Jesus] aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist."
Für Petrus ist der Gedanke unerträglich, dass der Gesandte Gottes leiden muss und von Menschen getötet wird. Aber für Jesus ist es offensichtlich noch viel unerträglicher, sich durch seinen Jünger dem Versuch ausgesetzt zu sehen, von dem Weg des Leidens und Sterbens abgehalten zu werden. Jesus sieht in dem Ansinnen des Petrus nicht nur einen abwegigen Vorschlag, über den sich nicht weiter nachzudenken lohnt, sondern eine satanische Versuchung, die ihn von seinem ihm von seinem himmlischen Vater zugedachten Weg abbringen und damit von Gott trennen würde. Doch Jesus und sein Weg des Leidens mit dem Tode am Kreuz lassen sich nicht voneinander trennen. Beides gehört zusammen. Deshalb Jesu so unglaublich scharfe Reaktion.
Dabei haben wir zu bedenken, dass Jesus diesen Weg freiwillig gegangen ist. Im Hebräerbrief heißt es von Jesus, dass er, "obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete". Wie können wir das verstehen? Es gibt ein Angesprochen-Werden, das den Menschen tief in seinem Herzen berührt und ihn aus allem bisher Gewohnten herausreißt. Und es ist dem Angesprochenen sofort klar, dass das Geforderte gut und sinnhaft ist und er sich vertrauensvoll hingeben darf. In dieser Weise erkennt Jesus, dass der Tod am Kreuz sein Weg ist. Er hat selbst gesagt: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht." Das Muss dieses Geschehens und Jesu freiwillige, mit ganzem Herzen erfolgte Entscheidung, den Tod am Kreuz trotz aller damit verbundenen unbeschreiblichen Leiden auf sich zu nehmen, sind also kein Widerspruch.
Jesus sagt in seinem Abschiedsgebet: "Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue." Das hört sich so an als würde Jesus bei diesen Worten bereits am Kreuz hängen. In der Tat hat Jesus den Vater auf seinem Erdenweg in wunderbarer Weise verherrlicht. Dies ereignete sich in der Wirkung seiner Worte, seiner Taten, in der Wirkung seines Verhaltens auf andere Menschen. Wo Jesus hinkam, da wurden Menschen ihre Sünden vergeben, da wurden sie an Leib und Seele gesund, da konnten Blinde sehen, Taube hören und Lahme gehen, da erfuhren Ausgestoßene und Verachtete neue Gemeinschaft, da wurden böse Geister ausgetrieben, da wurden viele Menschen durch wenige Brote und ein paar Fische satt, da wurde sogar Wasser in Wein verwandelt. Heuchelei wurde aufgedeckt und Suchenden der Weg gewiesen. Da wurden Gesetzesvorschriften so ausgelegt, dass sie dem Leben dienten und kein Selbstzweck mehr waren. Denken wir nur an das so wunderbar in Freiheit versetzende Wort Jesu: "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen." Oder denken wir an das kostbare, leuchtende Wort Jesu an die Schriftgelehrten und Pharisäer, die eine Ehebrecherin zu ihm geschleppt und ihn unter Hinweis auf das Gesetz, nach dem die Frau gesteinigt werden müsste, belauerten, was er nun wohl sagen oder tun würde. Die die angespannte Situation lösende, zur Einkehr, Selbstkritik und Umkehr einladende Antwort Jesu lautet: "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." Daraufhin zogen sich die Jesus belauernden Frommen zurück, einer nach dem anderen. Und Jesus sagt: "So verurteile ich dich auch nicht. Sündige hinfort nicht mehr."
Den Menschen wurde an Jesus klar, dass er von Gott kommt. Jesus, wie er uns in den Evangelien begegnet, strahlt eine einmalige Souveränität aus. Keine irgendwie geartete Parteilichkeit ist bei ihm zu finden. Dies zeigt sich in überwältigender Klarheit daran, dass er nichts gesagt oder getan hat, von dem im Nachhinein gesagt werden müsste: "Das hat er bestimmt nur gesagt, um bestimmte Leute nicht vor den Kopf zu stoßen." Oder: "Dieses Wunder hat er sicher nur vollbracht, um gerade von diesem Menschen ein Lob zu bekommen." Jesus war in keiner Weise irgendwie auf Lob von Menschen aus. Er hat auch nichts getan, um, wie wir heute sagen, selbst groß herauszukommen. Es ging ihm ausschließlich um die Ehre und die Verherrlichung des Vaters und dabei auch um die, zu denen ihn der Vater gesandt hatte. Es ging ihm um alle Menschen.
Doch inwiefern ging es Jesus mit seinem Leben und Wirken und mit seinem Tod um alle Menschen? Was hat sich mit Jesu Leben und Wirken und mit seinem Tod ereignet? Wir erkennen: Menschen sind durch ihn zu einem Leben gekommen, das den Namen Leben verdient. Er stillte durch sein Wirken die Sehnsucht nach wahrem Leben. Es ist dies ein Leben, in dem die Liebe König ist. Sie ist in diesem neuen Leben die alles bestimmende Macht. Und was hat sich mit dem Tod Jesu ereignet? Dieser Tod ist ein Sieg der Liebe über den Tod. Mit dem Tod sind die bösen Mächte gemeint, die Menschen beherrschen können und die das Leben zerstören, vergiften, kaputt machen: Gehässigkeit, üble Nachrede, Missgunst, Mobbing, Treulosigkeit, Gier, fehlende Hilfs- und Vergebungsbereitschaft, Herrschsucht, Gewalt, Brutalität, Lüge, Lieblosigkeit, das Böse in jeder nur denkbaren Gestalt. Alles, was diese Mächte gewissermaßen als Lohn auszahlen, wenn man ihnen ergeben ist, steht für den Tod. Bei Jesus hatten sie keine Chance. Deshalb hat Jesus durch seinen Tod den Tod besiegt. Martin Luther in seinem Osterlied: Ein Tod hat den anderen gefressen. Und wir sind durch den Glauben Teilhaberinnen und Teilhaber dieses Sieges der Liebe. Deshalb sagt Paulus: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Auch nicht der Tod und das vom Tod gezeichnete Leben.
Aber wenn wir auf die jetzige Welt blicken, dann wird die Liebe weltweit in nicht zu beschreibender Weise mit Füßen getreten. Die Liebe muss in unserer Welt unsagbar leiden. Aber einer hat die Liebe gelebt. Sogar gegenüber seinen Feinden, und dies bis zum Tode am Kreuz. In ihm hat die Liebe den Sieg behalten im Vertrauen auf den Vater, der die Liebe ist und dafür sorgt, dass die Liebe zu ihrem Recht kommt.
Wie kann uns in diesen Zeiten die Botschaft von der Liebe Gottes helfen? Indem wir uns von dieser Liebe, die in Jesus Christus erschienen und uns durch das Evangelium verkündigt wird, ansprechen und berühren lassen und als Gemeinde beieinander bleiben. Dann geschieht in unserem Inneren eine Befreiung zur Liebe, die uns von allen moralischen Zwängen, Urteilen und Verurteilungen erlöst. Wir sind eingeladen, uns selbst gnädig zu sein. Deshalb brauchen wir uns um uns keine Sorgen zu machen und können für andere da sein und uns für sie einsetzen. "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem", sagt Paulus. Tun wir das in unserem Alltag? Lassen wir tatsächlich alle unsere Dinge in der Liebe geschehen?
In die Liebe, die von Gott kommt und in Jesus Christus erschienen ist, sind wir hineingetauft worden, diese Liebe wird uns in der Feier des Abendmahls in Gestalt von Brot und Wein gereicht. Das Vertrauen auf diese Liebe soll alles in unserem Leben bestimmen und stärker sein als alles, was uns widerfahren könnte. Wenn das geschieht, hat dann nicht das ewige Leben bereits in unserem sterblichen Leben trotz aller unserer Not begonnen? Bewegen wir die Worte Jesu doch immer wieder in unseren Herzen: "Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Amen.
*****
Verfasser der Predigt:
Pastor i. R. Eckart Schaade
Bei der Lutherbuche 32f
22529 Hamburg
Mobiltelefon: 0171-7108553
E-Mail: eckart@schaade.de
Internet: www.gehoerlos-hamburg.de
7. März 2021, 3. Sonntag der Passionszeit - Okuli
Predigttext
Ahmt Gott nach als geliebte Kinder
und wandelt in der Liebe,
wie auch Christus uns geliebt hat
und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer.
Epheser 5,1-2
Predigt
Liebe Gemeinde!
„Ahmt Gott nach“ − wurde uns das schon einmal gesagt? Mir bisher nicht. Und wurden wir als erwachsene Menschen schon einmal als „geliebte Kinder" tituliert? Doch höchstens, so vermute ich, in einer besonderen, feierlichen Situation ausschließlich von den eigenen Eltern. Lassen Sie uns als erwachsene Hörerinnen und Hörer die Anrede "geliebte Kinder" einmal ganz persönlich wahrnehmen wie ein Glockenläuten aus dem uns längst versunkenen Land der Kindheit. Dadurch werden sicher bei vielen von uns Gefühle von Geborgenheit und Vertrauen und Sehnsucht nach zu Hause geweckt. Vielleicht mit ein bisschen Wehmut: "Ja, damals. Lang, lang ist das alles her." Und lassen wir bitte die Glocken aus dem Land der Kindheit nicht so schnell verklingen. Sondern hören wir mit ihrem Klang zugleich auch eine Erinnerung mit erneuter Einladung, unsere Gotteskindschaft zu übernehmen. Diese ist ja Kern und Stern unseres christlichen Glaubens. Würden wir − welch törichtes Unterfangen natürlich − die Gotteskindschaft aus unserem christlichen Glauben streichen, was würde da noch übrigbleiben?
Als Kinder Gottes sind wir dazu berufen, mutige Zeugen dafür zu sein, dass Vertrauen, dieses Lebenselement des Menschen, in jeder Lebenslage, mag nach menschlichem Urteil dazu weder Grund noch Anlass bestehen, sein tiefes Recht hat. Denn es geht um das Vertrauen zu Gott, unserem Vater, der alles in seinen treuen Händen hält − ein Vertrauen vor allem anderen, was es in der Welt gibt: Es seien Menschen oder Sachen. Christen sprechen nicht von Schicksal oder Zufall. Nicht nur deshalb, weil in der Bibel diese beiden Begriffe nicht zu finden sind. Sondern vor allem deshalb, weil Christen das, was andere Schicksal nennen oder dem Zufall zuschreiben, von Gott und seiner Allmacht nicht trennen können. Erinnern Sie sich an Situationen in Ihrem Leben, die Sie als ganz schlimm oder schier untragbar erlebt haben und Jahre später Gott doch für seine weise Führung in Ihrem Leben gedankt haben? Jesus hat zu unbedingtem Vertrauen auf Gott, unseren Vater, ohne dessen Willen uns kein Haar vom Haupte fällt, wie er gesagt hat, nicht nur mit Worten eingeladen. Er hat dieses Vertrauen in einmaliger Weise gelebt. Er ist der Erstgeborene aller Gotteskinder und zugleich die Tür für unsere eigene Gotteskindschaft. Das Evangelium ist der Ruf Gottes zunächst durch Jesus selbst und dann durch seine Zeuginnen und Zeugen in dieses befreiende, mit Frieden und auch mit Freude verbundene Vertrauen, das uns zu seinen Kindern macht.
Unser christlicher Glaube hat seinen Grund also nicht in einer besonderen Begabung oder einer speziellen genetisch bedingten Veranlagung, sondern er hat allein seinen Grund in der Erscheinung Jesu und allem, was durch ihn in die Welt gekommen und von seinen Zeuginnen und Zeugen durch die Jahrhunderte hindurch weitergegeben worden ist. Und was ist das? In Jesus ist in einzigartiger Vollmacht, wie es die Welt vor ihm niemals und nach ihm nie wieder gesehen hat, Gott den Menschen nahe gekommen. Und zwar nicht als messerscharfer Denker oder als kühl abwägende Gerechtigkeit oder als Rächer alles Bösen, sondern als liebender Vater, der seine verlorengegangenen und in die Irre gelaufenen Kinder mit ganzem Herzen und glühender Liebe sucht. Durch Jesus und seine Zeuginnen und Zeugen begegnen Menschen durch die Jahrhunderte hindurch einem Gott, vor dem sie keine Angst haben müssen, sondern an dem sie große Freude haben sollen und dürfen. Sie begegnen durch Jesus einem Gott, der ihre tiefste Not sieht und sie aus dieser Not, der Not des Alleinsein-Müssens und des Sich-selbst-überlassen-Seins in der Suche nach letztem Halt und letzter Gewissheit befreit. Kinder spüren wohl, dass Blitz und Donner große Gewalt haben. Für sie ist aber dennoch letztlich alles gut ist, wenn Papa und Mama da sind und sie fest in den Armen halten. Entsprechendes gilt für den Glauben der Kinder Gottes. Paulus fasst diesen Glauben in die wunderbaren, einprägsamen Worte zusammen: "Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein" (Röm 8,31b)?
Die als Gottes geliebte Kinder angesprochenen Epheser werden aufgefordert: "Ahmt Gott nach". Ganz wörtlich aus dem Griechischen übersetzt müssten wir sagen: "Werdet Gottes Nachahmer". Doch was soll das heißen? Wir − Gottes Nachahmer? Ich entnehme der Aufforderung, Gott nachzuahmen, als Erstes dies, dass die so Angesprochenen auf die Seite Gottes gehören. Sie haben seine Gnade in Jesus Christus empfangen. Das geht aus den vorangegangenen Kapiteln des Epheserbriefes ganz unmissverständlich und völlig klar hervor. Es sind also von Gott reich beschenkte Menschen, an die die Aufforderung ergeht, Gottes Nachahmer zu werden. Und wie soll dieses Nachahmen Gottes nun geschehen? In unserem Predigttext heißt es dazu: "Wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer.“ Mit „wandelt in der Liebe“ ist ein Leben in der Liebe gemeint. Wir sprechen ja auch vom Lebenswandel eines Menschen. Wir sollten bei diesen Worten nicht nur und auch nicht zuerst an das denken, was es für die Liebe alles zu tun gibt. Sondern lassen Sie uns zuerst an das Sein und Bleiben in der Liebe denken. Denn das Sein und Bleiben in der Liebe ist das Beste und Größte und Höchste, das es für uns auf dieser Welt geben kann. Dazu möchte ich eine persönliche Begebenheit erzählen: Unsere ältere Tochter, sie war damals vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, stand auf der Treppe unseres Groß Borsteler Pastorats; in Hamburg nennt man ja das Pfarrhaus Pastorat. Da sagte das Mädchen für mich völlig unvermittelt: „Ich habe Papa lieb, ich habe Mama lieb und mich selbst habe ich auch lieb.“ Bis heute bin ich tief davon beeindruckt, dass unser Kind so ganz unbefangen sagen konnte: „Und mich selbst habe ich auch lieb.“ Ich glaube, wir Erwachsenen können das nicht, einen solchen Satz spontan und unreflekiert, aber aus voller Herzensgewissheit sagen. Wir Erwachsenen würden sofort darüber nachdenken, welche Wirkung diese Worte auf andere haben könnten. Nicht umsonst hat Jesus die Kinder als Vorbild im Glauben hingestellt. Unser Glaube ist nicht einem großen Sack vergleichbar, in dem alles Mögliche steckt, was ich für wahr halten soll. Sondern unser christlicher Glaube bedeutet, dass ich mich angenommen und geliebt wissen darf, weil Gott mich angenommen hat und liebt, so dass ich auch zu mir selbst gut sein darf und soll − trotz all der Dinge, die ich versäumt habe, die nicht gut gewesen sind, die ich mir zu Recht vorwerfen muss. Gott kann uns durch die spontane Äußerung eines Kindes wecken, damit wir verstehen, was er von uns will. Dazu gehört auch, dass wir es lernen, zu uns selbst gut zu sein, weil Gott schon alles für uns getan hat. Damit fängt der Lebenswandel in der Liebe an, dass sich jede und jeder ganz persönlich als Gottes geliebtes Kind ansieht. „Gott zählt Menschen nicht eins, zwei, drei, sondern eins, eins, eins.“ Die Rubrik „Unter ferner liefen“ kennt Gott, unser Vater, nicht.
Aus dem Sein in der Liebe folgt das Tun der Liebe. Dazu möchte ich eine Geschichte erzählen: Ein Fischerehepaar lebt in einem Fischerdorf auf einer Insel im Mittelmeer. Er ein kräftiger Mann, sie deutlich jünger, eine auffallend schöne Frau. Er ist mehrere Tage mit seinem Fischerboot unterwegs, um seinem Beruf nachzugehen. In seiner Abwesenheit macht ein Boot in dem kleinen Hafen wegen einer Ausbesserung fest. Es kommt zu einer Begegnung zwischen dem Steuermann und der schönen Frau des abwesenden Fischers. Die Nachbarn bekommen mit, dass da ein Ehebruch geschehen ist. In dem Dorf herrscht seit Menschengedenken das ungeschriebene Gesetz, dass eine Ehefrau, die des Ehebruchs überführt wird, von einem hohen Berg ins Meer gestürzt wird. Unabhängig, ob der Ehemann seiner Frau verzeiht oder nicht. Um der heiligen Ordnung der Ehe willen herrscht dieses Recht auf der Insel. Die Fischersfrau wird angeklagt. Sie leugnet nicht. Üblicherweise wird das Urteil sehr schnell vollstreckt. Die Frau empfängt vom Priester das Sterbesakrament. Sie hat nur noch einen großen Wunsch: Sie möchte mit der Vergebung ihres Mannes sterben. Auf ihre Bitte hin wird die Vollstreckung des Urteils verschoben. Doch ihr Mann lässt sich nicht blicken. Die Fristverlängerung läuft ab. Da der Ehemann immer noch nicht erscheint, wird das Urteil vollstreckt. Die Frau wird den Abhang hinab ins Meer gestürzt. Stunden später verbreitet sich im Dorf das Gerücht, der Fischer und seine Frau seien in ihrem Haus. Die Dorfältesten lassen das prüfen. Man findet das Ehepaar in seinem Haus. Der Mann schläft, er ist erschöpft durch seine Kräfte zehrende Arbeit. Die Frau steht am Herd. Folgendes stellt sich heraus: Der Fischer hat nach seiner Rückkehr von dem Ehebruch seiner Frau und der bevorstehenden Vollstreckung des Urteils gehört. Da wird er unverzüglich mit Überlegung und ganz großem Können unter Einsatz aller Kräfte aktiv, spannt Netze an Felsen und Klippen, um seine Frau damit aufzufangen, wenn das Urteil vollstreckt wird. Sein Vorhaben gelingt. Mit ein paar Hautabschürfungen kommt die Frau davon. Ihre Rettung löst die Frage aus, ob sie noch einmal um der Gerechtigkeit willen vom Abhang hinabgestürzt und der Mann wegen seines Vorgehens bestraft werden müsse. Auf Grund einer weisen richterlichen Entscheidung kommt es dazu nicht. Die beiden Eheleute gehen als freie Menschen in ihr Haus.
Diese in Kürze wiedergegebene Geschichte mit dem Titel "Das Netz" von Werner Bergengruen erlebe ich immer wieder als beeindruckendes Beispiel dafür, was Lebenswandel in der Liebe heißen kann. Es geht um das Verhalten im Alltag. Dabei gilt es, die Situation genauestens zu bedenken. Der Fischer ist mit ganzem Herzen bei seiner schwierigen, aber auch risikoreichen Arbeit. Von Halbherzigkeit keine Spur. Der Fischer ist so in der Liebe gegründet, dass er nicht nur die so ungeheuer schmerzhafte Kränkung, die ihm seine Frau durch ihren Ehebruch zugefügt hat, besiegt, sondern auch die traditionsreiche, todbringende menschliche Gesetzgebung aushebelt. Denn gegen Liebe kann man nichts sagen. Gegen sie gibt es keine Argumente. Das ist ihre unüberwindliche Stärke, obwohl sie in dieser Welt so unfassbar leiden muss, wie es uns der Leidensweg Jesu in unüberbietbarer Klarheit vor Augen führt. Ganz gewiss haben Jesu Zeitgenossen, ich meine damit natürlich nicht nur Männer, sondern selbstverständlich auch Frauen und Kinder, ihn, Jesus, als einen über die Maßen liebevollen Menschen wahrgenommen. Die tiefe, Menschen im Innersten froh und frei machende Menschlichkeit Jesu, die die seelischen und körperlichen Nöte und Leiden von Herzen ernst nimmt und ihnen abhilft, verleiht der Erscheinung Jesu eine heil- und lebensbringende Strahlkraft, die ihresgleichen sucht. Diese ist mit seinem Tode nicht erloschen, sondern zu wunderbarer Vollendung gelangt. Deshalb dürfen wir, wenn wir das Abendmahl empfangen, die Worte hören: "Christi Leib für dich gegeben", "Christi Blut für dich vergossen". Jesu Weg − Gabe und Opfer für uns.
Im Glauben geht es darum, sich von ganzem Herzen immer auf Gott zu verlassen und ihm über alle Dinge zu vertrauen. In einem Lebenswandel in der Liebe geht es darum, selbstlos zur Stelle zu sein, wenn es die Situation erfordert. Wer könnte wohl von sich behaupten, dass es bei ihm im Glauben und in der Liebe keine Schwächen, keine Defizite, keine Unterlassungen, keine Schuld geben würde? Im Ernst wird das niemand behaupten wollen. Wie damit umgehen? Solange wir leben, werden wir aus der Situation des Kampfes nicht entlassen. Wie finden wir Stärkung und Trost im Kampf, besonders wenn wir versagt haben? Mit Freude erinnere ich an Worte aus Luthers Kleinem Katechismus. Unser Reformator antwortet auf die Frage: "Was bedeutet denn solch Wassertaufen?" mit den Worten: "Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe." Diese Worte verbinde ich in ganz besonderer Weise mit meinem Vater Georg Schaade, der hier am Heilsbronnen von 1951 bis 1966 Pfarrer gewesen ist. Ihm waren diese Lutherworte Herzensanliegen. Übermorgen, am 9. März, würde mein Vater 125 Jahre alt werden. So ist es mir eine ganz besondere Freude, gerade heute mit Ihnen und Euch, liebe Schwestern und Brüder, hier im Heilsbronnen Gottesdienst feiern zu dürfen.
Und wie soll das nun vonstatten gehen, dass der alte Adam, gemeint ist der Mensch in uns, dem es in erster Linie um seinen eigenen Vorteil geht und darum, dass er selbst groß herauskommt, für den die eigenen Bedürfnisse wichtiger sind als die Bedürfnisse seiner Mitmenschen. Für den der eigene Wille wichtiger ist als der Wille Gottes. Der nach Anerkennung giert, aber unfähig ist, sich mitzufreuen, wenn sie anderen zuteilwird. Ich frage: Wie soll das geschehen, dass dieser alte Adam in uns ersäuft werde und ein neuer Mensch auferstehe? Es geht in der Weise vonstatten, dass wir das Gnadenwort unseres Gottes in Jesus Christus, das uns von allem, was uns von Gott trennen könnte, freispricht, festhalten wie einen Schatz, aus dem uns das Leben entgegensprudelt. "Ahmt Gott nach", heißt es in unserem Predigttext. Wer ist Gott? Gott ist die Liebe. Wer sind wir? Gottes geliebte Kinder sind wir. Deshalb: Seien wir als Christen mobil durch immer neues Aufbrechen und Hinschauen.
Amen.
*****
Verfasser der Predigt:
Pastor i. R. Eckart Schaade
Bei der Lutherbuche 32f
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E-Mail: eckart@schaade.de
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